Wohnungsbau
Wohnen ist mehr als die Summe von Zimmern oder die Addition von Grundrisse; es ist die räumliche Organisation von Alltag, Intimität und sozialer Zugehörigkeit. In einer von ständiger Erreichbarkeit und Verdichtung geprägten Gesellschaft gewinnt der Rückzugsort als bewusster Gegenpol zur Öffentlichkeit besondere Bedeutung.
Ob im Zuge einer Sanierung von Wohngebäuden oder dem Neubau, immer geht es darum Räume zum Leben zu schaffen – oder Räume wieder lebenswert zu machen.
Im Entwurf übersetzt der Grundriss Bedürfnisse nach Nähe, Distanz, Routinen und Ritualen in konkrete baulich-räumliche Anordnungen. Statt einer starren Abfolge von Zimmern gewinnen flexible Zonen an Bedeutung, die zwischen gemeinschaftlicher Nutzung und individueller Rückzugsmöglichkeit wechseln können. Offene Küchen, durchgehende Wohnlandschaften und verschiebbare Elemente ermöglichen es, die Wohnung je nach Tageszeit und sozialer Situation neu zu konfigurieren. Hingegen definieren Balkone, Loggien, Laubengänge oder Vorgärten die Übergangsräume, in denen sich halböffentliche Situationen entfalten und Distanz zur Straße und Umgebung aufgebaut werden kann.
Baulich-räumliche Strukturen prägen aber immer auch soziale Praktiken: Was als Flur, Erschließung oder Zwischenzone entworfen wird, kann sich zum Ort zufälliger Begegnung oder zum vernachlässigten Restraum entwickeln. Hausflure, gemeinschaftliche Dachterrassen oder geteilte Eingangsbereiche fungieren als sozial-kommunikative Puffer, die Nachbarschaft fördern, ohne die private Sphäre zu verletzen.
Architektur übernimmt damit eine moderierende Rolle, indem sie Schwellen, Blickbezüge und Aufenthaltsqualitäten so arrangiert, dass sowohl Rückzug als auch Austausch möglich werden.
Wohnen als gestalteter Rückzugsort bedeutet daher, diese Sequenzen bewusst zu entwerfen, um Schutz, Selbstbestimmung und Gemeinschaft in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
